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Irina Fixel

Vereinsvorsitzende des Russisch-Deutschen Kulturzentrums e. V.
Irina Fixel, geb. am 06.04.1972 in Kischinew /UdSSR.

Ausbildung / Studium: Russische Staatliche Humanistische Universität Moskau

Abschluss: Historikerin-Archivarin, Thema der Diplomarbeit: Politische Zensur

1993 Umzug in die BRD, Nürnberg

1998 – jetzt: Gründerin und Vereinsvorsitzende des Russisch-Deutschen Kulturzentrums e. V.

2004 – jetzt: Integrationsfachanleiterin beim Kultur- und Freizeitamt der Stadt Nürnberg

2009 – 2021: Direktorin der Nürnberger Vertretung der russischen Stiftung „Russkij Mir“

2006 – 2010 Mitglied des Weltkongresses der russischsprachiger Bürger im Ausland

2007 – 2010 Bundesvorsitzende des Koordinationsrates russischsprachiger Mitbürger in Deutschland

2017 – Verleihung der Bayerischen Staatsmedaille für Soziale Verdienste

Meine Generation hatte das Glück, so viel Interessantes zu erleben… von den Sternabzeichen der Oktoberpioniere bis zum Zerfall der Sowjetunion und dem Verlust meiner Heimat.

Ich erlebte eine „glückliche sowjetische Kindheit“ unter Brezhnew mit Schulappellen, weißen Haarschleifen und Begrüßungsreden von uns Pionieren bei Parteitagen der kommunistischen Partei. Zu der Zeit war ich Vorsitzende der Pionierorganisation unserer Schule und wurde sogar mit einem Aufenthalt im „Artek“, dem berühmtesten Pionierlager der Sowjetunion, ausgezeichnet. Damit hat wohl alles angefangen… „Artek“ war damals eine Insel reeller Kinderselbstverwaltung, eine wahre Schule des Pionieraktivs. In 30 Tagen, die ich dort verbringen durfte, wurde mir für mein ganzes Leben der Glaube vermittelt, dass jeder von uns imstande ist, das Leben um uns herum zu ändern, man muss nur anfangen etwas zu unternehmen…

Am Beginn der Perestrojka wurde ich bereits von der ganzen Schule nach dem Vorbild amerikanischer Präsidentenwahlen zum Sekretär der Komsomolorganisation gewählt, und wir glaubten aufrichtig, dass die Zeit zu handeln endlich gekommen sei. Die alte Generation teilte nicht unsere Euphorie, darum wurde ich zwischen Tadeln sowie Ausschluss und Ehrenurkunden des ZK des Komsomol hin und her geworfen.
Der Übergang der 80er,90er-Jahre in Moldawiens Hauptstadt Kischinew war weniger eine Zeit demokratischen Wandels als vielmehr das Wachsen eines nationalen Selbstbewusstseins, das in nationalistischen Demonstrationen der „Volksfront“, dem Verbot der russischen Sprache, Entlassungen und physischer Gewalt gegenüber nationalen Minderheiten, insbesondere Russen, gipfelte. Ich begreife bis heute nicht, wie das alles bei unserer internationalen Erziehung passieren konnte, wo wir nur wenige Jahre zuvor noch mit Stolz die Anzahl verschiedener Nationalitäten in der Klasse nachgezählt haben.

Anfang der 90er lernte ich in Moskau, an der freiheitlichsten Universität des Landes, nur wenige Schritte vom Roten Platz entfernt, und alle Studenten waren, wie zu allen Zeiten und in allen Ländern, die aktivsten Teilnehmer der aktuellen Vorgänge. Das waren wahrscheinlich die aufregendsten, revolutionärsten, dunkelsten, entbehrungsreichsten, widersprüchlichsten Jahre für Moskau in den letzten 50 Jahren. Aber gleichzeitig auch die ereignisreichsten und glücklichsten – außer dem aufregenden Leben auf Moskaus Plätzen zog es uns zu Theaterpremieren, Ausstellungen und Festivals auf Weltniveau.

Im Rahmen wissenschaftlicher Arbeit, meine Diplomarbeit befasst sich mit der politischen Zensur im Kulturbereich, führte mich das Leben zum Taganka-Theater. Außer dem außerordentlich interessanten Umgang mit berühmten Schauspielern, habe ich eine wichtige Lektion gelernt – alle wirklich lohnenswerten Ereignisse haben ihren Anfang in einer guten Mannschaft von Gleichgesinnten.

Und in so einer guten Mannschaft entstand und lebt bis heute das Russisch-Deutsche Kulturzentrum fort. 1996, als bei weitem nicht jeder sich zutraute in der Stadt Russisch zu sprechen und das Wort „Integration“ mehr Schimpfwortcharakter besaß, begann eine Gruppe von Enthusiasten mit der Herausgabe einer russischsprachigen Zeitung, der Organisation von Kinderfesten und kulturellen Veranstaltungen mit Künstlern und Autoren. Es begann alles mit einer Initiative und mit Unterstützung des Reise-Service Solodki&Partner, und am 1. Juni 1998 wurde das Russisch-Deutsche Kulturzentrum e. V. offiziell registriert.

In den 26 Jahren seither wurden wir zu einer der größten Organisationen europaweit, die ihre Besucher im Jahr in Tausenden zählt. Jetzt sind wir weit über Nürnberg hinaus bekannt und niemand bezweifelt unsere Kompetenz, aber dieser Erfolg war enormen Anstrengungen geschuldet.

Als wir zu einer großen und erfahrenen Organisation herangewachsen sind, begannen wir aktiv am Prozess der Vereinigung der Organisationen von Landsleuten in Deutschland und der Welt zu wirken. Gerade in Nürnberg, auf der Basis des Russisch-Deutschen Kulturzentrums, wurde die erste bundesweite Konferenz der Landsleute durchgeführt, bei der ich zur Bundesvorsitzenden des Koordinierungsrates der russischsprachigen Mitbürger gewählt wurde. Ich habe vier Jahre lang Deutschland im Weltkoordinierungsrat repräsentiert und war Mitglied des in der oberen Kammer des russischen Parlaments gebildeten Rates für das Zusammenwirken mit den Vereinen der Landsleute im Ausland.

Trotz der unglaublichen Arbeitsbelastung und der ständigen Flüge bin ich mir sicher, dass ich meine Zeit und meine Kenntnisse damals nicht umsonst investiert habe und den „Vorher-nachher-Zustand“ mit Stolz vergleichen kann.

Ich glaube, dass unsere Erfahrung und das Wissen über aktuelle Probleme und manchmal auch ihre Lösungsmöglichkeiten von großem Nutzen sein können auf dem Weg zu einer erfolgreichen Integration in das öffentliche und politische Leben in Deutschland, und die russische Sprache für unsere Kinder retten.